Nords

Das Märchen vom Fischer Hjul

Die Geschichte von Hjul dem Fischer und der Nacht des hellen Baumes

Versammelt euch nun um den Herd, und Nana wird euch die Geschichte von Hjul und der Nacht des hellen Baumes erzählen.

Es war die dunkelste Nacht des Jahres. Es war ein mageres Jahr gewesen, ein armes Jahr, denn es herrschte Krieg im Land, und allzu oft waren die Netze der Fischer am Ende des Tages leer oder so gut wie leer. Hjul war keine Ausnahme, und wenn überhaupt, dann war er einer der am meisten Betroffenen. Aber er war von kräftigem Volk, Hjul, wie es in unserem Dorf üblich ist; denn er war wirklich einer von uns, egal was andere behaupten. Und er war auch ein stolzer Vater und ein frommer Mann, der die Asen und Vanen verehrte, wie es sich gehörte. Es war die Liebe zu seiner Familie und der Glaube an seine Götter, die ihn an diesem Tag ans Meer trieben, denn nach Meinung des guten Hjul verdienten beide ein Festmahl und eine Ehrung in dieser heiligsten aller Winternächte.

Und so verließ er die Küste, noch bevor die hellen Stunden gekommen waren, zusammen mit anderen, die ein ebenso tapferes Herz hatten wie er. Noch bevor die Sonne aufging, schoben sie ihre Boote über das Eis, geleitet von ihren Laternen am Bug, bis sie das Wasser erreichten, und von dort segelten sie geradewegs nach Süden. Zu Beginn der hellen Stunden warf er mit den anderen sein erstes Netz aus, aber wie in diesem Jahr üblich, blieben die Netze leer. Als die hellen Stunden ihren Höhepunkt erreichten, segelten er und eine Handvoll anderer, nicht mehr, weiter nach Süden und versuchten es erneut, aber ihre Netze waren immer noch leer. Einer nach dem anderen erreichten seine Kameraden die gefrorenen Küsten, aber Hjuls Stolz war verletzt und seine Ehre gekränkt. Allein segelte er weiter, bis das Ufer hinter ihm in der Ferne lag und Mannheim für ihn nur noch eine Insel war. Und dort, als die hellen Stunden endlich verblassten, warf er zum dritten Mal seine Netze aus.

Er wartete lange, in der Kälte und dem bitteren, nassen Wind. Er wartete, bis sich die Winterdämmerung senkte und die Lichter der Boote seiner Kameraden im Norden verschwanden. Er wartete, bis die Dunkelheit über ihn hereinbrach und das einzige Licht in Sicht war seine eigene, schwache Laterne. Er wartete, bis die längste Nacht des Jahres ihn verschluckte und selbst die Flamme seiner Laterne zu verlöschen schien. Eingekuschelt in seine Felle wartete er, sein Boot schaukelte sanft auf den schwarzen Wellen, sein Licht war ein einsamer Stern, der in der Dunkelheit tanzte und dessen Öl zur Neige ging.

Stunden vergingen, und Hjul sah verzweifelt zu, wie seine kleine Flamme erlosch. Und dann dachte er, wenn das Licht ausging, dann würde er wissen, dass die Götter dieses Jahr keinen Fisch von ihm wollten und er zurückkehren konnte. Also hielt er seine Augen auf dieses Licht gerichtet. Das Licht, das nie erlosch, leuchtete immer weiter. Das war das erste Wunder der Nacht des brennenden Baumes, denn das Öl ging nie aus.

Jetzt sahen die schwer fassbaren Fische, die sich das ganze Jahr über versteckten und scheuten, unten seine blasse, beständige Laterne, und für ihre verzweifelten Augen schien sie wie die Sonne. Denn wenn ihr glaubt, dass die Nächte für uns Nords im Winter dunkel sind, dann wisst, dass es für die Fische noch schlimmer ist, denn sie schwimmen in der Leere. Das Versprechen der Sonne in Form der kleinen Laterne lockte sie so sehr an, dass sie zu Dutzenden in Hjuls Netze stürzten. Und das war das zweite Wunder der Nacht des hellen Baumes.

Hjul freute sich und dankte den Göttern für ihre Güte, als er seine Netze einsammelte, die zum ersten Mal in diesem Jahr voll und reich waren. Er lachte in der Dunkelheit und machte sich auf den Heimweg, nur um schließlich festzustellen, was der Preis für seinen Fisch war. Denn in der längsten Nacht des Jahres sind die Dunkelheit des Himmels und die Dunkelheit des Meeres eins, die Wolken, die die Sterne verbergen, und das Glühen des Bifrosts. Hjul war verloren und wusste nicht, wo Land war.

Nun sagen einige, dass dies das Ende von Hjul war. Manche sagen, dass er nie wieder zurückgekehrt ist und dass man seitdem nie wieder etwas von ihm gehört hat. Andere sagen, er sei immer noch allein in der Dunkelheit, sein kleines Fischerboot treibe im langen Dunkel des Nachthimmels, und an seiner Laterne, dem Stern Yulodi, wüssten die Seeleute, wo Süden ist, und an der Fackel seiner wartenden Frau, dem Stern Ghilde, wüssten sie, wo Norden ist. Aber wir in unserem Dorf erinnern uns, was andere nicht wissen. In seiner dunklen Verzweiflung sah Hjul ein Licht im Norden erscheinen, hell und verzweigt, mit einem Schein, der die Wolken berührte; und er wusste, wo das Land lag. Er pries die Götter und sein Lachen hallte in der Dunkelheit wider, dann dankte er ihnen, während ihm die Tränen in den Augen gefroren.

Es war das dritte und letzte Wunder, das Wunder von Hjul. Ein Wunder, das mit Opfern verbunden war, wie alles andere auch. Denn das war die Nacht von Ragnarök und der Verbrennung von Yggdrasil, die längste Nacht des Jahres und aller Jahre seitdem; die Nacht, an die wir uns mit Hjuls Namen erinnern und die wir die Nacht des hellen Baumes nennen.

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